Zürich.  Irgendwo am Zürichsee sitzt ein Mann und zieht hastig an seiner Zigarette. Ständig dreht er sich um, reagiert beim kleinsten Geräusch erschrocken und fühlt sich beobachtet. Beim Eintreffen der Ermittler bittet er sie, die Handys ausgeschaltet auf den Tisch zulegen und nachzuweisen, dass keine Abhörgeräte am Körper befestigt sind. Er war es, der sich ausgesucht hat, wo das Gespräch stattfinden soll. Nun entscheidet er sich nochmal für einen Ortswechsel, dorthin wo unliebsame Zuhörer noch unwahrscheinlicher sind. Hinter dem Look des Mannes würden die Detektive am ehesten einen Normalo vermuten, doch dieser Herr ist ein hochrangiger Lobbyist eines großen Fintech-Unternehmens. Wie sehr der erste Eindruck täuschen kann.

„Ich stecke in ernsthaften Schwierigkeiten“ sind seine ersten Worte. „Nehmen sie sich also etwas Zeit für mich, damit ich ihnen erklären kann, womit Sie es zu tun haben werden“. Seine Worte klingen wie das böse Omen im Schicksal eines ängstlichen Mannes. Er beschreibt seinen Job so: „Ich bin Lobbyist, also für das Kontakten zuständig, dafür Türen in Kreise zu öffnen, die sonst verschlossen bleiben. Ich halte Politik, Wirtschaft, Leader und Heads bei Laune und kämpfe mich für Unternehmen durch rechtliche Hürden. Alle Hilfsmittel sind unter dem Dogma der Verschwiegenheit erlaubt, solange es dem Konzern dient. Kurzum, ich setze seit Jahren die Ziele des Unternehmens durch ohne Rücksicht auf Andere, mit allen erlaubten und verschwiegenen Mitteln.“ Nachfrage des Ermittlers: „Wie genau definieren sie verschwiegene Mittel?“ Antwort:“ Na ja, was nicht geht, wird gangbar gemacht und ab und zu muss man ein wenig diskret nachhelfen. Leider habe ich dabei Grenzen überschritten, die mich nicht nur meine Familie gekostet haben, sondern mittlerweile auch mein gesamtes Leben massiv gefährden. Sie bedrohen mich, meine Familie, meine Zukunft, mein Leben, wenn ich nicht tue, was sie sagen. Zu den Behörden kann ich nicht, ohne mich selbst ans Messer liefern zu müssen. Sie haben alles aufgeboten was gegen mich und meine Tätigkeit verwendet werden kann. Fallen Sie, falle ich auch. Ich bin Geheimnisträger und somit gefährlich für Unternehmen, falls ich auspacke.“ „Wollen sie denn auspacken?“, fragt der Ermittler. „Nein, ich will nur ein einfaches ruhiges Leben zurück. Kennen sie das Geheimnis von Personen wie mir? So mancher Lobbyist hat mehr Menschenleben auf dem Gewissen, als in vielen Kriegen ums Leben gekommen sind.“
Erneute Nachfrage des Ermittlers: „Verstehe ich Sie richtig, sie sind Lobbyist, so eine Art Problemlöser für Unternehmen und suchen jetzt Hilfe bei einem Problemlöser für ihr Problem? Antwort:“Ja, so kann man es ausdrücken. Ich bin in eine Nummer hineingeraten aus der ich selber aus eigener Kraft nicht mehr herauskomme. Vielleicht bin ich betriebsblind, aber ich brauche dringend Ihre Hilfe.“
Der Sachverhalt in Kürze: Der wohlhabende Top-Lobbyist sollte Geschäftspraktiken umsetzen, die er mit seinem Gewissen nicht vereinbaren konnte und teilte der Unternehmensführung den Ausstieg aus dem Unternehmen mit. Aufgrund der Fülle des Insiderwissens wurde ihm dieser Wunsch verwehrt. Von da an ist der Mandant überwacht, bedroht, erpresst und eingeschüchtert worden. Die Attacken gingen so weit, dass selbst die Familie, Kinder und Angehörige nicht mehr sicher sind. Angst um Leib und Leben bestimmen seither den Alltag des Lobby-Millionärs. Aussicht auf Besserung gibt es nicht. „Ich habe sogar über Selbstmord nachgedacht“, sagte der gezeichnete Lobbyspezialist im Laufe des Gesprächs.
In Coronazeiten nutzen viele Manager und Führungskräfte die Gelegenheit, reinen Tisch zu machen. Der beschriebene Fall entstand aus einem Gesprächsprotokoll mit anonymisierter Einverständnis des Mandanten und zeigt das hinter den Fassaden mit harten Bandagen gekämpft wird. Es ist nicht immer Gold, was glänzt. „Leichen im Keller“ zu haben war schon immer eine risikoreiche Angelegenheit. Gefährliches Insiderwissen kann auch für die Akteure gefährlich werden und das Gefühl der Unantastbarkeit, verbunden mit Power ist nur eine Schimäre. Bis nichts mehr bleibt.